ein blinder Parkrunner
Interview,  Parkrun

Ein blinder Parkrunner

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Dirk ist blind. Trotzdem ist er ein begeisterter Läufer und macht beim Parkrun mit. In meinem Interview mit ihm erfahrt ihr, was einen guten Guide ausmacht, wie er blind geworden ist und welche Probleme er im Alltag hat.

Dirk ist 50 Jahre und arbeitet als Projektleiter im Chemie-Anlagenbau. Er wohnt seit seiner Geburt in Mannheim-Neckarau.

Wie bist du zum Laufen gekommen?

Ein Studienfreund von mir war Sprinter bei der MTG Mannheim. Ich war Radfahrer und habe das Laufen eigentlich gehasst wie die Pest 🙂

Seit sieben Jahren laufe ich etwas mehr. In der Corona-Zeit ist es weniger geworden, weil ich keinen Laufpartner hatte. Ich brauche zum Laufen immer einen Guide. Früher ging es auch ohne, da bin ich einfach hinterhergelaufen. Aber inzwischen geht das nicht mehr.

Ist es für dich wichtig, dass immer die gleiche Person den Guide für dich macht?

Grundsätzlich ist es am besten, wenn ich mit den gleichen drei bis vier Partnern laufe. Dann sind wir eingespielter. Andererseits ist es aber auch so, dass ich mich über jeden freuen, der den Guide für mich macht.

Du bist ja über ein Band mit dem Guide verbunden. Wie funktioniert das?

Das ist ein Stretchband. Der Guide und ich nehmen es in die Hand. Im Band sind Schlaufen drin, in die man die Finger stecken kann. Wenn der Weg schmal ist, nimmt der Guide das Band kurz. Wenn genügend Platz ist, lässt er es lockerer und der Abstand zu ihm wird größer.

Ist es schwierig, mit einem Guide zu laufen?

Ich musste es lernen. Ich rate jedem, es mal auszuprobieren und mit verbundenen Augen zu laufen. Selbst wenn ein Läufer weiß, dass es keine Hindernisse gibt, fällt es ihm extrem schwer, sich auf den Guide zu verlassen.

Ich bin von Geburt an nachtblind. Von daher war ich es schon etwas gewohnt, ins Nichts zu laufen.

Mit manchen Guides ist das Laufen etwas schwieriger. Es kommt aber auch auf die Strecke an. In Heidelberg gibt es die Himmelsleiter. Wenn ich die hochlaufe, brauche ich einen gut trainierten Guide, auf den ich mich verlassen kann. Sowas kann ich nicht mit jedem machen.

Worauf sollte ein guter Guide achten?

Er sollte nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig reden. Die Körpergröße ist auch ein wichtiger Aspekt. Für einen kleinen Guide ist es eventuell etwas schwieriger. Er muss bspw. auf Äste achten, die für ihn kein Problem sind, die mich aber behindern könnten. Einem größeren Guide fällt das leichter.

Für einen schweren Begleiter ist es eventuell etwas einfacher, weil er nicht so beeinträchtigt wird, wenn ich ungleichmäßig laufe. Bei einer leichteren Person kann es sein, dass ich sie bei einer Berührung aus dem Gleichgewicht bringe. Manche Guides laufen Schlangenlinien. Für mich ist es angenehmer, wenn ein Guide eine gerade Linie läuft. Aber eigentlich ist das alles nicht so wichtig. Ich passe mich an den Guide an.

Ich habe über die Zeitung von Parkrun erfahren.

Dirk

Wie bist du zu Parkrun gekommen?

Meine Frau hat davon in der Zeitung gelesen. Ich dachte zuerst, das wäre eine jährliche Veranstaltung. Ich wusste nicht, dass es jeden Samstag einen Parkrun gibt. In der Zeitung war Martin als Ansprechpartner angegeben, bei dem ich mich gemeldet habe. Wir hatten ein gutes Gespräch und er hat sich bereit erklärt, mich von zu Hause abzuholen. Das erste Mal bin ich mit ihm gelaufen und danach auch mit anderen Guides.

Machst du noch andere Sportarten außer Laufen?

Ich habe viele Sportarten aufgeben müssen. Als ich noch besser gesehen habe, habe ich einiges ausprobiert: Skifahren, Snowboardfahren, Skateboard fahren, Rennradfahren, Gleitschirmfliegen, Drachenfliegen und Windsurfen. Außerdem noch Katamaran fahren, da bin ich bei den Deutschen Meisterschaften gestartet. Ich bin auch sehr intensiv Wasserski gefahren.

Wie oft trainierst du pro Woche?

Das hängt davon ab, ob ich einen Guide zum Trainieren habe. Es gab eine Zeit, in der ich Schwierigkeiten hatte, einen Laufpartner zu finden. Im Moment trainiere ich aber dreimal die Woche. Meistens sind es vier bis sechs Kilometer pro Trainingseinheit.

Interview mit Dirk und Corina im Neckarauer Café Purino

Läufst du auch Trails?

Nein, das mache ich nicht. Das ist mir zu gefährlich.

Macht es für dich einen Unterschied, auf welcher Strecke du läufst?

Wenn es eine flache Strecke ohne Hindernisse ist, ist es mir egal. Wenn es aber große Stufen gibt, laufe ich langsamer. Dann ist es auch besonders wichtig, dass ich einen gut eingespielten Guide dabei habe.

Wie sagt dir der Guide Hindernisse am besten an?

Bei Stufen, die nach oben führen, ist es gut, wenn mich der Guide direkt davor warnt: 3, 2, 1, … Hopp. Wenn ich zu früh gewarnt werde, kann es passieren, dass ich gegen die Stufen laufe. In solchen Fällen ist es am besten, wenn ich hinter dem Guide laufe. Dann merke ich, wie er springt. Wenn er hoch springt, springe ich auch. Die Reaktionszeit passt genau. Beim Runterlaufen ist es ähnlich.

Viele Guides sagen „Achtung“, aber was heißt das? Hoch oder runter? Selbst meine Frau macht das manchmal noch falsch. Runterlaufen ist viel gefährlicher als hochlaufen.

In der letzten Woche bist du beim Parkrun gestürzt, als dir ein nicht angeleinter Hund direkt vor die Füße gelaufen ist. Passiert dir so etwas öfter?

Eigentlich kommt so etwas nie vor. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich über einen Hund gefallen bin. Da hatte ich keine Chance zum Ausweichen gehabt.

Manche Sehende nehmen zu wenig Rücksicht auf Blinde.

Dirk

Wie bist du blind geworden?

Das ist eine Krankheit, die irgendwann ausbricht und bei der sich die Sehzellen selbst zerstören. Ich wusste, dass ich gefährdet bin, hatte aber lange Zeit keine Probleme. Erst mit Ende 30 verschlechterte sich meine Sehkraft rapide. Das ist eine Erbkrankheit, die aber mehrere Generationen überspringen kann.

Wie sieht dein Alltag aus? Kannst du alleine im Supermarkt einkaufen?

Das Einkaufen erledigt meine Frau. Ich helfe im Haushalt und übernehme das Saugen, Spülen und die Reinigung der Küche. Einkaufen ist mir zu stressig. Ich müsste immer in den gleichen Laden gehen, damit ich weiß, wo die Sachen stehen. Ich kann zwar alleine das Haus verlassen. Dafür bräuchte ich meinen Blindenstock, den ich aber nur ungern nutze.

Was könnte die Politik tun, um Blinden zu helfen?

Am wichtigsten wäre es, die Mobilität zu verbessern und mir damit mehr Teilnahme am sozialen Leben zu ermöglichen. Die Haltestellen von Bus und Bahn sind oft schwierig angeordnet. Außerdem fehlen an vielen Ampelanlagen Piepser. Das ist sehr gefährlich für mich.

Wenn eine Buslinie umgeleitet wird und der Bus an einer anderen Stelle als sonst hält, kann ich mich nicht orientieren. Dann bin ich auf den Busfahrer angewiesen, dass er mir erklärt, wo ich lang gehen muss.

Mir passiert es auch manchmal, dass die Straßenbahn nicht anhält. An den Haltestellen gibt es spezielle Riffellinien für Blinde. Die markieren die Fahrereingangstür der Bahn. Wenn der Fahrer einen Blinden mit Stock sieht, soll er ihm eigentlich die Nummer der Bahn zurufen und fragen, ob er einsteigen will. Manchmal passiert es aber, dass an einer Haltestelle zwei Straßenbahnen hintereinanderstehen. Der Fahrer der ersten Bahn fragt mich, ob ich mitfahren will. Ich sage nein, weil ich mit der anderen Bahn fahren will. Dann fährt aber nicht nur er weiter, sondern oftmals auch der Fahrer der zweiten Bahn. Dadurch kann es vorkommen, dass ich Termine verpasse oder zu spät komme.

Es wäre auch schön, wenn die Sehenden mehr Rücksicht auf Blinde nehmen würden. Auf Bahnhöfen passiert es mir öfters, dass ich umgerannt werde. Viele Menschen wissen auch nicht, dass die Riffellinie eine Markierung für Blinde ist.

Trägst du eine Blindenbinde?

Nein, das machen die wenigsten. Ein Stock reicht aus, um einen Blinden zu erkennen. Ein Herzkranker trägt ja auch keine Binde, um zu zeigen, dass er einen Herzfehler hat.

Ich baue auch IKEA-Schränke zusammen.

Dirk

Was würdest du dir von Sehenden im Umgang mit Blinden wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass sie auf Sehbehinderte zugehen. Viele Blinde leiden unter Vereinsamung. Sie kommen zu wenig raus, weil sie kein Geld für ein Taxi haben. Auch das Sport treiben ist schwierig. In manchen Gymnastikgruppen sind Blinde nicht gerne gesehen, weil sie jede Übung erklärt bekommen müssen. Dabei kenne ich die meisten Übungen. Wenn mir der Trainer sagt, dass ich einen Seitstütz machen soll, weiß ich, wie das geht. Das braucht mir niemand zu erklären.

Oftmals denken die Menschen, dass Blinde nichts können. Sie werden auch nicht gefragt. Dabei sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich. Man sollte nicht einfach voraussetzen, dass ein Blinder etwas nicht kann. Es wäre besser, ihn zu fragen, was er kann und was nicht.

Ich habe einen anspruchsvollen Beruf, repariere Fahrräder und mache auch Handwerksarbeiten am Haus. Auch Streicharbeiten sind für mich kein Problem. Ich habe ein Gartenhäuschen selbst gebaut und montiere auch IKEA-Schränke ohne Hilfe. Ich kann auch beim Umzug helfen. Ich werde aber oft nicht gefragt, weil viele denken, ich könnte das nicht.

Du bist auch Musiker. Welche Art von Musik machst du?

Ich mache alles. Von Rock bis Tanzmusik, auch Pop. Schon, seit ich 14 Jahre alt bin. Ich spiele hauptsächlich Gitarre und singe. Ich spiele aber auch Schlagzeug, Saxofon, Bass, Keyboard und Orgel.

Ich bin der Leader der Band Timeless. Ich mache Verträge und führe Gespräche mit Veranstaltern. Ich trage die Instrumente rein und baue sie auf. Nach dem Konzert belade ich den Bus wieder. Das kann ich alles.

Ist es bei Blinden tatsächlich so, dass die anderen Sinne schärfer sind, weil sie mehr darauf angewiesen sind?

Meine Ohren sind nicht besser geworden, nachdem ich blind wurde. Allerdings werte ich meine Sinne besser aus. Ich nutze bspw. meinen Geruchssinn mehr. Wenn viele Menschen um mich rum sind, funktioniert das nicht so gut. Wenn ich aber alleine im Dunkeln auf dem Damm spazieren gehe, dann habe ich unheimliche Sensoren. Ich merke, wenn jemand kommt. Ich spüre, wenn eine Wand da ist. Ich nehme die Umgebung viel besser wahr. Mein Geruchssinn ist dann sehr empfindlich. Ich rieche ein Parfüm aus 30 Meter Entfernung.

Hast du mal daran gedacht, dir einen Blindenhund zu holen?

Ich liebe Hunde, aber mir würde das Tier leid tun. Ich arbeite den ganzen Tag am Computer und der Hund müsste immer neben mir sitzen. Außerdem ist der ja nicht nur ein Hilfsmittel, sondern will auch, dass sich jemand mit ihm beschäftigt. Mein Leben ist aber mit Arbeit, Haushalt, Sport und meiner Musikband so ausgefüllt, dass ich keine Zeit dafür hätte mich noch um einen Hund zu kümmern.

Vielen Dank für das Interview.

Noch ein Nachtrag. Am Tag des Interviews ist Dirk eine neue Parkrun-Bestzeit gelaufen. Zusammen mit seinem Guide hat er die 5-km-Strecke in einer Zeit von 25:10 Minuten geschafft.

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Erik betreibt dieses Laufblog und ist ein begeisterter Läufer. Er trainiert vier- bis fünfmal die Woche, startet bei Lauf-Wettkämpfen und bei Parkruns. Wenn du ihn triffst und er läuft gerade nicht, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Verwechslung ;-)

Ein Kommentar

  • Gabriele Voelkel

    Danke für das gute Interview mit Dirk. Ich denke, es ist wichtig, dass wir nicht nur ihm , sondern auch anderen Menschen, die Probleme haben mehr Rücksicht entgegenbringen müssen. Ich lese oft den Newsletter von Raoul K;rauthausen und informiere mich über die Probleme von Menschen mit Behinderungen oder besser gesagt, die durch „Normalos“ gehindert werden am Leben teilzunehmen. Ich freue mich für ihn, dass er so einge gute Zeit beim Neckarauenparkrun geschafft hat.

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