Juliana und Hans-Reinhard vom Guidenetzwerk Deutschland warten auf den Start beim Wertwiesenparkrun in Heilbronn. Sie tragen beide neongelbe Shirts. Bei Hans-Reinhard steht der Aufdruck BLIND auf dem Shirt, bei Juliana der Aufdruck GUIDE.
Interview

Guidenetzwerk: Blinde Läufer suchen Guides

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Letzten Samstag habe ich vor dem Parkrun in Heilbronn ein Gespräch mit Juliana und Hans-Reinhard geführt. Die beiden haben das Guidenetzwerk Deutschland gegründet. In meinem Interview mit ihnen erfahrt ihr, wie sie auf diese Idee gekommen sind. Außerdem erzählen sie, wie die Vermittlung von Blinden und Guides funktioniert.

Juliana Löffler (JL) ist 60 Jahre alt und arbeitet als Krankenschwester. Sie läuft seit 20 Jahren und hat bisher neun Parkruns absolviert.

Hans Reinhard Hupe (HRH) ist 62 Jahre. Er hat als Facharbeiter Lagerwirtschaft gearbeitet. Im Laufe seines Lebens ist er an Retinitis pigmentosa erkrankt. Dadurch hat sich seine Sehkraft verschlechtert und sein Gesichtsfeld wurde immer kleiner. Seit seinem 42. Lebensjahr ist er vollblind und kann nicht mehr arbeiten. Er war ebenfalls bei neun Parkruns am Start.

Sie sind beide Mitglied beim Thüringer Lauf- und Ausdauerclub LAC Eichsfeld. Im Verein sind zurzeit elf blinde oder sehbehinderte Sportler und Sportlerinnen aktiv.

Die beiden haben das Guidenetzwerk Deutschland gegründet. Es führt Blinde und Guides zusammen. Als Guides bezeichnet man sehende Menschen, die Blinde beim Laufen unterstützen. Sie tragen beide Kennzeichnungswesten und sind durch ein Führbändel miteinander verbunden.

Neben der Vermittlung bieten sie auch noch Guideschulungen an. Sie fahren dafür durch ganz Deutschland und besuchen Parkrun-Standorte, die an den Workshops interessiert sind.

Die Gründung des Guidenetzwerks

Wie seid ihr auf die Idee gekommen das Guidenetzwerk zu gründen?

HRH: Wir sind zusammen den Rennsteig-Supermarathon gelaufen und uns fiel auf, dass es kaum blinde Läufer gab. Die Teilnahme war ein Geschenk zu meinem 50. Geburtstag.

JL: Die Gründung des Guidenetzwerks ist aus einer Notsituation heraus entstanden. Wir konnten unseren blinden und seheingeschränkten Vereinsmitgliedern kein Training ermöglichen. Wegen fehlender Guides konnten sie auch nicht an Wettkämpfen teilnehmen.

HRH: Es war auch schwierig, bei etwas weiter entfernten Stadtmarathons einen Guide zu finden. Die hier ansässigen Guides konnten aus beruflichen oder privaten Gründen nicht immer mitreisen. Deshalb kam uns der Gedanke, dass es schön wäre, wenn es in jeder größeren Stadt Guides geben würde. Zum einen würden die Blinden vor Ort davon profitieren und zum anderen könnte jeder Blinde in einer anderen Stadt einen Guide finden. Dadurch ist die Idee entstanden, ein deutschlandweites Netzwerk zu gründen.

Nach dem Rennsteig-Supermarathon hatten wir Kontakt mit dem Blindenverband aufgenommen. Dadurch schlossen sich unserem Verein weitere blinde Läufer an. Diese haben wir angesprochen, ob sie Lust hätten sich am Guidenetzwerk zu beteiligen.

Wie viele Guides und wie viele Blinde sind im Guidenetzwerk registriert?

JL: Im Moment haben wir 1.237 registrierte Personen. Davon sind 275 Sportler blind und seheingeschränkt. Knapp 1.000 Guides unterstützen diese beim Laufen und Walken. Wir haben auch eine Wintersportabteilung. Die ist aber erst im Aufbau. Das Laufen und Walken steht momentan im Vordergrund und wird auch gut angenommen. Zukünftig ist geplant, dass wir noch Schwimmen, Radfahren und Wandern anbieten wollen.

Die Vermittlung von Blinden und Guides

Wie sieht es mit der Verteilung von Blinden und Guides aus?

JL: In manchen Regionen ist es schwierig, einen Guide zu finden. Manchmal passiert es, dass wir selbst nach dem Kontakt mit Lauftreffs und Nachbarschaftshilfen niemanden finden. Dann müssen wir den Läufer vertrösten. Es kommen jeden Tag ein bis zwei Anmeldungen und wenn es der Zufall will, meldet sich irgendwann auch ein Guide aus der gesuchten Region.

Muss ein Läufer, der keinen Guide hat, sein Hobby aufgeben?

JL: Ein Vollblinder kann ohne Guide nicht im Freien laufen. Er muss dann vielleicht auf dem Laufband laufen. Zur Not kann er auch auf Sportplätzen mit dem Stock laufen. Aber das ist natürlich schwierig. Stell dir vor, du trittst vor die Haustür, machst die Augen zu und läufst los. Das ist halt nicht so einfach.

Bevor ein Läufer sein Hobby aufgibt, sucht er in seiner Umgebung und findet vielleicht auch irgendwann jemanden. Schwieriger ist es für die, die noch am Anfang stehen. Sie würden sich gerne mehr bewegen, finden aber niemanden. Sie geben dann im Vorfeld bereits auf. Deswegen ist es wichtig, das Guidenetzwerk bekannt zu machen.

In den meisten Fällen können wir helfen. Auch wenn mit knapp 1.000 Guides deutschlandweit noch nicht alles abgedeckt ist. Punktuell ist es aber schon gut. In manchen Städten haben wir bereits eine gute Auswahl an Guides. Manchmal ist es aber auch schwierig. In Heilbronn haben wir zwei Jahre nach einem Guide gesucht. Nach unserer Teilnahme bei Sterne des Sports hat sich dann ein weiblicher Guide gemeldet. In Fürth haben wir für einen Blinden ein Jahr nach einem Guide gesucht. Vorgestern hat sich jemand gemeldet.

Wie viele Guides braucht ein blinder Läufer?

HRH: Es kommt darauf an, wie aktiv er ist und wie viel er trainiert. Wer in der Woche 80 bis 100 Kilometer läuft, benötigt vier bis fünf Guides. Meistens sind die Läufer aber nicht so leistungsorientiert. Dann reichen zwei Guides.

JL: Es gibt Läufer, die Hilfe aus dem Bekannten- oder Verwandtenkreis bekommen. Aber auch diese suchen ab und zu einen Guide, wenn ihr gewohnter Laufpartner aus dem familiären Umfeld ausfällt. Manche brauchen auch nur eine Kennzeichnungsweste oder ein Führbändel. Dann stellen wir diese Utensilien gegen eine Spende zur Verfügung, um die Sicherheit zu gewährleisten. Wer sich im Guidenetzwerk registrieren lässt, erhält die Ausstattung sogar kostenlos.

HRH: Die Kennzeichnungswesten mit unserem Werbeaufdruck helfen auch unsere Sichtbarkeit zu erhöhen. Jeder Blinde, der sich beim Guidenetzwerk registriert, unterstützt es. Die Registrierung ist kostenlos und verpflichtet zu nichts. Der Name wird nicht angezeigt. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Guides.

Wie sieht es aus, wenn es größere Leistungsunterschiede zwischen einem Blinden und seinem Guide gibt?

JL: Das trifft auf uns beide zu. Ich laufe wesentlich langsamer als Hans-Reinhard. Wir können zusammen laufen, aber er kann nicht in seinem Tempo laufen. In einem Rennen muss er sich an meiner Geschwindigkeit orientieren. Er muss also deutlich langsamer laufen als er könnte.

HRH: Der schnellere Läufer kann langsamer laufen, aber der langsamere nicht schneller. Also muss sich der schnellere dem langsameren anpassen.

JL: Optimal ist es, wenn ein Guide bis zu 15 % schneller als der Blinde ist.

HRH: Auch das Führen kostet Energie. Der Guide kann nicht so frei laufen wie alleine. Bei längeren Läufen wie bspw. einem Marathon ist auch die lange Konzentration kraftraubend. Der Guide muss sich über mehrere Stunden konzentrieren können. Da ist es von Vorteil, wenn er leistungsstärker als der Blinde ist.

Welche Strecken kann ein Blinder zusammen mit einem Guide laufen?

HRH: Ich bin den Rennsteig-Supermarathon mit einer Länge von 73 Kilometern gelaufen. Es gibt auch einen Blinden, der schon den Deutschlandlauf gelaufen ist. Der geht von Flensburg nach Lörrach. Innerhalb von 21 Tagen musste er über 1.200 Kilometer zurücklegen. Er brauchte dafür mehrere Guides, die er mithilfe des Guidenetzwerks gefunden hat.

Die Blindschleichen

Euer Verein betreibt eine Blindenlaufschule mit dem Titel „Blindschleichen“. Was kann ich mir darunter vorstellen?

JL: 2013 wurde innerhalb unseres Vereins eine Abteilung für blinde und seheingeschränkte Menschen gegründet. Die nennen sich selbst Blindschleichen und starten unter diesem Namen auch bei Wettkämpfen. Wir sind ja nur ein kleiner Verein, den nicht viele kennen. Aber der Name „Blindschleichen“ ist sogar über unsere Region hinaus bekannt.

Ursprünglich war es so gewesen, dass unsere blinden und seheingeschränkten Mitglieder keine Läufer waren. Wir haben dann unseren Lauf-Trainerschein gemacht und haben sie zum Laufen gebracht. Da es hauptsächlich ältere Blinde waren, brauchten wir das Fachwissen, um sie gesund und verletzungsfrei zu trainieren.

Das Guidenetzwerk gewinnt den Stern des Sports

Am Donnerstag erscheint der zweite Teil des Interviews. Dann erzählen Juliana und Hans-Reinhard, wie es dazu kam, dass das Guidenetzwerk den Stern des Sports gewonnen hat. Außerdem erfahrt ihr noch, auf welche Probleme Blinde und ihre Guides bei einem Volkslauf stoßen können.


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Erik betreibt dieses Laufblog und ist ein begeisterter Läufer. Er trainiert vier- bis fünfmal die Woche, startet bei Lauf-Wettkämpfen und bei Parkruns. Wenn du ihn triffst und er läuft gerade nicht, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Verwechslung 😉

Ein Kommentar

  • Carsten Scheller

    Ich bin seid Oktober 2022 im Netzwerk als Guide registriert und habe seiddem rund 800 km als Guide zurückgelegt. Es ist für die Blinden ein extremer Mehrwert an Lebensqualität, wenn sie laufen können, für den Guide ist es nur eine Investition von Zeit.
    Mittlerweile habe ich meine eigene Wochentrainingsplanung auf den Guidelauf abgestimmt, damit mein Hauptandempartner sein Trainingspensum absolvieren kann.
    Einige Meilensteine sind der erste 5 km Lauf beim Parkrun Georgengarten, 10 km beim Wings for life run, der erste Halbmarathon durch die EIlenriede.
    Dieses Jahr habe ich die (blinde) Freundin vom Partner zum Laufen animiert, einfacher kann man keine Glücksgefühle entfachen…
    Jeder Blinde sollte vom Netzwerk erfahren und ausprobieren, ob diese Mobilität für ihn etwas ist.
    Und jeder Läufer sollte für sich prüfen , ob ein Einsatz als Guide persöhnlich in Betracht kommt.
    Ich will diese Lebenserfahrung nicht missen.

    mfG
    Carsten Scheller

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