Martin Güngerich ist überzeugt, dass Barfußlaufen gesünder ist. Er steht mit nackten Füßen auf einem Gehweg. Er trägt ein gelbes Hund und weiße Mütze. Er streckt den Daumen nach oben.
Interview

Martin Güngerich: „Barfußlaufen ist gesünder“

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Martin Güngerich leitet eine Laufschule, in der er Läufern das Barfußlaufen beibringt. In meinem Interview mit ihm erfahrt ihr, warum er diese Art des Laufens für gesünder hält.

Martin Güngerich ist 49 Jahre. Er arbeitet als Physiker an der Universität Gießen in der Materialforschung. Er ist bisher 114 Parkruns gelaufen.

Warum läufst du barfuß?

Weil ich der Überzeugung bin, dass es den menschlichen Bewegungsapparat auf Dauer gesünder hält als das Laufen in konventionellen Laufschuhen. Meiner Meinung nach ist die Verletzungsgefahr geringer. Es gibt leider nur eine Studie dazu. Allison Altman und Irene Davis haben ein Jahr lang Barfuß- und Schuhläufer untersucht. Dabei kam heraus, dass die Verletzungshäufigkeit ungefähr gleich hoch ist. Die Art der Verletzung unterscheidet sich aber. Schuhläufer verletzen sich häufiger an Knie und Hüfte. Barfußläufer dagegen mehr an der Wade, am Unterschenkel und am Fuß.

Die Läuferverletzung Plantarfasziitis tritt allerdings verstärkt bei Schuhläufern auf. Meiner Meinung nach liegt das an den in den Schuhen verbauten Mittelfußstützen. Das Fußbett ist so konstruiert, dass es federn soll. Es hat eine elastische Eigenschaft und kann dadurch die Energie eines Schrittes im Fußgewölbe speichern. Im nächsten Schritt wird diese wieder abgegeben. Dadurch wird das Laufen effizienter.

Auch die Achillessehne speichert Energie. Sie funktioniert in ihrer Speicher- und Energieübertragungsfähigkeit besser, wenn die Ferse nicht, wie bei vielen Schuhläufern üblich, in den Boden gerammt wird. Es ist besser, wenn der Fuß weiter vorne landet, also auf dem flachen Fuß oder auf dem Ballen. Dadurch wird die Achillessehne mehr gespannt und die Energie in den nächsten Schritt übertragen.

Seit wann läufst du?

Ich laufe seit Sommer 2003 regelmäßig. Ich habe damals auch das Barfußlaufen schon ausprobiert. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass die Haut meiner Füße zart war und deshalb schnell weh tat. Ich bin damals in minimalistischen Schuhen gelaufen. Das waren einfache Sneakers oder Neopren-Wasserschuhe. Barfuß laufe ich erst seit 2012. Mir tat damals meine Fußrückseite weh. Deshalb konnte ich keine Laufschuhe tragen und musste barfuß laufen.

Wie kamst du auf die Idee, barfuß zu laufen?

Ich hatte damals von anderen Läufern mitbekommen, dass das Laufen eine verletzungsträchtige Sportart ist. Ich habe mir überlegt, wie ich laufen kann, ohne dass ich dabei Schmerzen habe. Es machte mir Spaß und ich wollte bis ins hohe Alter laufen. Ganz am Anfang hatte ich mir auch Laufschuhe gekauft und dafür 120 Euro ausgegeben. Mir war es aber wichtig, dass die Schuhe wenig Sprengung hatten.

Ich habe mir damals überlegt, dass die Lauftechnik beim Barfußlaufen gesünder ist. Man wendet sie auf natürliche Weise an, wenn man auf harten Boden aufsetzt. Man landet eher vorne, macht kürzere Schritte und hat eine höhere Schrittfrequenz. Das Knie ist bei der Landung nicht so stark gestreckt, damit es besser federn kann. Diese ganzen Haltungen passen sich beim Barfußlaufen automatisch an. Diese Technik ist sanfter und belastet die Gelenke nicht so stark. Diese Informationen habe ich mir angelesen. Im Buch „Natürlich laufen“ beschreibt der Arzt Matthias Marquardt seine Philosophie, dass die Barfußlauftechnik auch beim Laufen mit Schuhen die beste ist.

Belastet das Barfußlaufen die Gelenke?

Der Körper verfügt über elastische Mechanismen. Es gibt im Fußgewölbe und in der Achillessehne eine Feder. Wenn das Knie gebeugt ist, dann kann die Oberschenkelstreckermuskulatur so wirken, dass sie in den Sehnen Energie speichert und im nächsten Schritt abgibt. Die Lauftechnik sollte sich von selbst anpassen, wenn man barfuß auf einem harten Boden läuft. Bei den meisten Menschen funktioniert das auch. Sie setzen auf dem vorderen Fuß auf, haben eine höhere Schrittfrequenz und damit eine kürzere Schrittlänge. Der Aufprall ist dadurch nicht so hart und der Kniewinkel ändert sich.

Verwendest du mehrere Laufstile?

Nein, ich habe einen flachen Fußaufsatz, das heißt der Kleinzehenballen landet gleichzeitig mit der Ferse. Wenn man mich filmt, dann ist zu sehen, dass mein Fuß – von außen gesehen – kurz vor der Landung flach steht. Die Lauftechnik ändert sich, wenn sich der Boden ändert. Wenn ich auf einem rauen Boden laufen muss, wird das Knie stärker gebeugt, weil ich meinen Füßen keinen so festen Aufprall zumuten will. Ich denke aber darüber nicht nach.

Auf welchem Untergrund läufst du am liebsten?

Die Parkrunstrecke in Marburg besteht aus einem sehr guten Asphalt, auf dem ich gerne laufe. Oder auf Betonpflaster, wie auf dem anderen Teil der Strecke. In vielen Städten gibt es auch große Betonplatten. Wenn die sauber sind und es keine Steinchen oder Splitter gibt, ist das auch super.

Forstwege im Wald sind meistens geschottert. Das geht bei mir gar nicht. Auch grobe Steine mag ich nicht. Das habe ich nach 24.000 gelaufenen Barfuß-Kilometern herausgefunden. Auf Trampelpfaden im Wald laufe ich aber gerne barfuß. Wegen herumliegenden Ästen muss ich oft wechseln zwischen Gehen und Laufen. Ein durchgehender Lauf ist auf diesen Wegen nicht möglich.

Was hältst du von Barfußschuhen?

Mir gefällt das Wort nicht, aber ich mag die Schuhe. Die Lauftechnik passt sich beim Wechsel von Laufschuhen auf minimalistische Schuhe bzw. auf das reine Barfußlaufen an. Wenn man sich die Lauftechnikparameter wie Kniewinkel, Fußwinkel und Schrittfrequenz ansieht, dann sind die sogenannten Barfußschuhe eine halbe Sache. Diese Parameter liegen bei Barfußschuhen ziemlich genau in der Mitte zwischen dem Laufen in gängigen Laufschuhen und dem Barfußlaufen.

Meine Empfehlung ist, wenn jemand in Barfußlaufschuhen laufen möchte, sollte er zuerst das Barfußlaufen lernen. Am besten erst mit einer kurzen Strecke anfangen. Beim ersten Mal geht vielleicht nur eine Runde auf der Laufbahn, weil die Füße eventuell wund werden. Das ist aber nicht schlimm, die Füße passen sich an. Da muss man etwas Geduld haben. Danach sollte man sich langsam steigern.

Warum hast du eine Laufschule gegründet?

Das hat historische Gründe. In meiner Anfangszeit habe ich bei einem Unisportlauftreff mitgemacht, der sich Laufschule nannte. Nach einiger Zeit wurde er von anderen Personen übernommen, die ihn aber nicht mehr Laufschule, sondern Lauftreff nannten, weil sie sich nicht mehr so viel mit Lauftechnik befassten. Sie sind einfach nur gelaufen. Irgendwann bekam ich das Angebot, diesen Unisportlauftreff von meinen Vorgängern zu übernehmen. Diese Chance habe ich genutzt. Weil ich mich damals schon sehr für das Thema Lauftechnik interessiert habe, habe ich gesagt, ich mache es nur, wenn ich den Lauftreff wieder zu einer Laufschule machen darf. Ich wollte wieder mehr zum Techniktraining übergehen, also bspw. Lauf-ABC, Kräftigungs- und Koordinationsübungen durchführen.

Auf einer Parkbank sitzen von links nach rechts: Jörg Leonhardt, Sabine Oelke und Martin Güngerich. Die drei Läufer tragen ein gelbes Shirt mit dem Aufdruck Laufschule Marburg. Ich sitze ganz rechts und trage ein blaues Shirt mit dem Aufdruck Der Mensch läuft.
Links neben mir sitzen Jörg Leonhardt, Sabine Oelke und Martin Güngerich von der Laufschule Marburg.

Warum machst du Videoanalysen?

Die mache ich vor allem bei Läufern, die orthopädische Probleme haben. Ich will damit herausfinden, ob es Parameter in der Lauftechnik gibt, die auffällig sind und die man verändern kann, um die Verletzungsgefahr zu verringern. In Laufschuhläden werden bei Videoanalysen oftmals nur von hinten die Unterschenkel gefilmt. Ich finde es dagegen wichtig, die Läufer von der Seite aufzunehmen. Der Oberkörper bestimmt, was die Beine tun.

Die Arme sind ein Taktgeber für das Laufen.

Martin Güngerich

Die Armhaltung ist wichtig. Es gibt Läufer, die die Arme beim Laufen sehr stark herunterhängen lassen. Diese bewegen sich aber mit derselben Frequenz wie die Beine. Wenn die Arme sehr lang gehalten werden, dann ist das ein Pendel, das eine geringe Eigenfrequenz hat. Wenn man bei einer Uhr das Pendel länger macht, läuft sie langsamer und geht nach. So ist das mit den Armen auch. Wenn sie herunterhängen, gehen sie nach und damit gehen auch die Beine nach. Die Arme sind ein Taktgeber für das Laufen an sich und damit auch für die Beine. Wenn dadurch die Schrittfrequenz gering ist, gibt es einen harten Aufprall, weil man weit und hoch fliegt.

Auch die Schwerpunktslage des Oberkörpers ist wichtig. Es gibt viele Läufer, die vorgebeugt laufen. Sie knicken in der Hüfte ab. Das ist nicht gut, weil der Schwerpunkt des Oberkörpers vor die Hüfte rutscht. Dadurch müssen die Beine weit nach vorne schwingen, damit wir nicht umfallen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit mit der Ferse zu landen. Außerdem ist dann das Knie stark gestreckt und kann nicht gut federn. Die Optimierung des Oberkörpers führt dazu, dass wir aufrecht laufen. Das bedeutet auch eine geringere Belastung für die Beine und die Hüfte. Das kann zu einer geringeren Verletzungswahrscheinlichkeit beitragen.

Läufst du auch bei Wettbewerben mit?

Ich laufe im Jahr bei 10 bis 12 Volks- und Straßenläufen mit. Ich laufe hier in der Region Strecken bis zum Halbmarathon. Meine Bestzeit liegt ungefähr bei 1:42 h. Das ist aber schon 12 Jahre her. Heute bin ich froh, wenn ich weniger als zwei Stunden benötige.

Welche Tipps kannst du Barfußlauf-Anfängern geben?

Zuerst sollte ein Barfußlauf-Anfänger die Ambitionen im Wettkampf zurückschrauben. Das Ideale wäre, wenn er mit dem Barfußlaufen anfängt, wenn er mit dem Laufen anfängt. Wenn er bereits die 10 Kilometer in 40 Minuten läuft, ist die Leistung des Körpers so hoch, dass es weh tun kann, wenn er mit dem Barfußlaufen beginnt. Wenn du aber beim Einstieg ins Lauftraining gleich mit dem Barfußlaufen beginnst, ist das viel einfacher. Wir sind optimal dafür ausgelegt. Wir haben heute noch die gleichen anatomischen Strukturen wie unsere Vorfahren vor 1,8 Millionen Jahren. Die hatten damals auch keine Schuhe und haben auf langen Strecken vierbeinige Säugetiere zu Tode gehetzt.

Hast du dich beim Barfußlaufen schon verletzt?

Barfußlaufen ist viel ungefährlicher als die meisten Menschen denken. Die größte Scherbe, in die ich hineingetreten war, war sechs Millimeter lang. Alles was so groß ist, dass man sich daran verletzen kann, ist auch so groß, dass man es sehen kann. Die einzige Gefahr ist beim Laufen auf einer Wiese, da kann vielleicht mal was übersehen werden. In Innenstädten kann ich meistens gut laufen, weil ich die Hindernisse sehen kann. Alle 500 bis 1.000 Kilometer verfängt sich vielleicht ein Splitter in meinem Fuß.

Vielen Dank für das Interview.

Weitere Infos über Martin Güngerich und seine Laufschule findet ihr auf seiner Website und auf Instagram.

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Erik betreibt dieses Laufblog und ist ein begeisterter Läufer. Er trainiert vier- bis fünfmal die Woche, startet bei Lauf-Wettkämpfen und bei Parkruns. Wenn du ihn triffst und er läuft gerade nicht, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Verwechslung 😉

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